Verkehrsforscher ermutigt Kommunen zur Verkehrswende

Prof. Dr. Rammler stellt Zukunftsszenarien der Mobilität vor

Prof. Dr. Rammler

Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger aus der südlichen Wetterau folgten der Einladung der Grünen zu der Veranstaltung „Mobilität jenseits des Verkehrskollaps“. Auch Stadtverordnete verschiedener Parteien ließen sich diese Gelegenheit nicht entgehen. Clemens Breest, Vorsitzender der Grünen in Bad Vilbel, und Kathrin Anders, Sprecherin der Wetterauer Grünen, begrüßten den vielgefragten Mobilitäts- und Zukunftsforscher Prof. Dr. Rammler im Kultur- und Sportforum Dortelweil. Dieser hatte ernüchternde wie klare Botschaften für seine Zuhörer*innen: Wir leben heute auf dem Zenit des Individualverkehrs, basierend auf dem Auto mit Verbrennungsmotor in Privatbesitz. Der bisherige Zuwachs an Kraftverkehr lässt sich nicht mehr fortführen. Jedoch lassen sich über Jahrzehnte entwickelte Verkehrsformen nicht kurzfristig ändern. Aber es gibt vielversprechende Alternativen, die uns mobil halten.

In zwei Szenarien beschrieb Prof. Rammler unsere Zukunft. Das erste Szenario beschrieb er mit neoliberal, laissez-fair. Es tritt ein, wenn Politik und Gesellschaft sich weiter einer aktiven Verkehrswende verweigern und lediglich auf unmittelbare Zwänge halbherzig und unabgestimmt reagieren. Die Folge ist eine Zunahme an Staus bis hin zum Kollaps. Das andere Szenario sieht er in einer hoch technologisierten und digital gesteuerten Mobilität basierend auf überwiegend gemeinschaftlich genutzten Verkehrsträgern. Sehr nüchtern beurteilte er angesichts der Bundespolitik das erste Szenario als das wahrscheinlichere. Doch er ermutigte die Kommunen, gezielt die Verkehrswende in ihren Bereichen anzugehen. Kommunalpolitiker erleben unmittelbar das Versagen einer nationalen Verkehrspolitik. Dort wo der Veränderungsdruck am größten ist, lassen sich am ehesten politische Mehrheiten für zukunftsweisende Veränderungen finden.

Clemens Breest im Gespräch mit Prof. Dr. Rammler

Die Teilnehmerinnen fragten angesichts dieser Darstellung, wie Politik dazu bewegt werden könne, eine bessere Verkehrspolitik zu gestalten. Clemens Breest antwortete als Landtagskandidat: „Die Wählerinnen und Wähler haben es bei der anstehenden Landtagswahl in der Hand, eine entsprechende Verkehrspolitik zu wählen. Die Grünen haben bereits dafür gesorgt, dass den Verkehrsverbünden 24% mehr Geld zur Verfügung gestellt worden ist. Das Schülerticket ist ein Erfolgsmodell, was jede Schülerin und jeden Azubi für einen Euro pro Tag durch ganz Hessen fahren lässt. Als nächstes wollen wir Grüne allen Senior*innen ein solches Ticket zur Verfügung stellen. Und wir setzen uns dafür ein, dass Hessen Fahrradland wird. Den Ausbau der Radinfrastruktur wollen wir deutlich vorantreiben. Deshalb gilt, wer Grün wählt, wählt die Verkehrswende!“

Bei dieser Veranstaltung ging es nicht um einzelne Verkehrsmaßnahmen. Prof. Rammler zeigte in seinem Vortrag die globalen Trends auf, die sich am stärksten auf den Verkehr auswirken. Das sind die alternde Gesellschaft, der anhaltende Zuzug in Städte, die Nachhaltigkeitsfrage aufgrund Ressourcenverknappung und Klimawandel sowie die Digitalisierung. Diese Trends forcieren einen Veränderungsdruck auf unseren Verkehr. Der Ressourcenverbrauch und deren gleichzeitig völlig ineffiziente Nutzung werden wir uns nicht mehr leisten können. Heute werden Autos durchschnittlich nur eine Stunde am Tag von anderthalb Personen genutzt. Der Veränderungsdruck zwingt in den kommenden Jahren zu einer deutlich besseren Nutzungseffizienz.

Weiter ging Prof. Rammler auf Mobilitätstrends ein, die eine Lösung für die beschriebenen Trends sein sollen. Einen vielversprechenden Ansatz sieht er in der Sharing Mobility. Durch die Digitalisierung und eine relativ schnell herstellbare Vernetzung ist es möglich, verschiedene Verkehrsträger den Nutzer*innen bedarfsgerecht anzubieten, ohne dass sie auf ein eigenes Auto angewiesen sind. Dabei sprach er sich deutlich gegen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr aus. Der öffentliche Nahverkehr muss in der Preisgestaltung günstiger werden, um mit dem Auto konkurrenzfähig zu sein. Doch für einen attraktiven öffentlichen Nahverkehr braucht es zusätzliche Investitionen, die finanziert werden müssen. Deshalb sollten auch Nutzer*innen ihren Beitrag leisten.

Der Verkehrsträger mit dem größten und am schnellsten zu realisierenden Mobilitätspotential ist das Fahrrad. Ohne politisches Hinzutun erlebt das Fahrrad derzeit eine enorme Renaissance. Durch den Einsatz von Elektroantrieben beim Fahrrad wird deren Einsatz auch über längere Distanzen möglich. Im Stadtverkehr könnte das Fahrrad einen Anteil von 30 – 40% einnehmen, was eine enorme Entlastung vom Kraftverkehr bedeuten würde. Und das Fahrrad ist nicht nur im Bereich der Personenbeförderung eine Alternative, auch Lieferdienste und Handwerker können mit einem Lastenfahrrad mobiler sein.

Der Elektromobilität als reiner Ersatz für den Verbrennungsmotor erteilte Prof. Rammler eine klare Absage. Sowohl die Produktion als auch die Entsorgung eines Elektroautos hat verglichen mit einem Verbrennungswagen eine deutlich schlechtere Umweltbilanz. Elektromobilität ist nur in Verbindung mit den zuvor dargestellten Trends eine hilfreiche Innovation. Auch die von vielen gepriesene Automatisierung wird seiner Ansicht nach keinen Beitrag zur Lösung unsere europäischen Verkehrsprobleme leisten. Die Diskussion um das autonome Fahren sieht er als völlig fehlgeleitete Diskussion.

Verwandte Artikel